Siegen, den 3. Dezember 1903

Gehorsames Gesuch des westfälischen Hauptvereins für Bienenzucht um Bepflanzung von öffentlichen Wegen und Plätzen mit honigenden Bäumen.

Die Bienenzucht unserer Heimatprovinz hat in den letzten Jahrzehnten einen bedeutenden Aufschwung genommen. Diese erfreuliche Tatsache verdankt sie der regen Tätigkeit der in letzter Zeit überfall entstandenen Imkervereine, aber auch der von ihm veranstalteten Bienenwirtschaftlichen Ausstellungen, Versammlungen und Vorträgen. Während noch vor 30-40 Jahren die wenig lohnende Korbimkerei fast allgemein war, sieht man heute die schönsten Bienenhäuser mit äußerst praktischen Leuten und starken Völkern. Die allem menschlichen Gefühl widerstrebende Herbstbienenschlächterei mit ihrer grausamen und unsinnigen Zerstörung von Volk und Bau hat aufgehört, an ihrer Stelle trat der rationelle Mobilbau mit seiner zweckmäßigen Betriebsweise und besseren Erträgen. Man imkert heute im Gegensatz zu früher nicht mehr auf gut Glück, sondern nach bestimmten Grundsätzen, um das frühere sogenannte Bienenhalten ist in eine vernünftige, zielbewußte Bienenzucht verwandelt worden.

Mit dieser erfreulichen Förderung einer rationellen Betriebsweise hat leider eine entsprechende Förderung der Trachtverhältnisse nicht gleichsam Schritt gehalten Die Bienenweide ist im Gegenteil in manchen Gegenden Westfalens durch das rastlose Fortschreiten der Industrie, durch die veränderte Betriebsweise der Landwirtschaft und durch manche andere Umstände bedeutend verschlechtert. Wälder, Buschwerk, Hecken und Haine, Anger und Triften, wo früher Tausende von Blüten der rastlos sammelnden Biene duftende Blütenkelche entgegenstreckten, sind verdrängt durch qualmende Schornsteine, rasselnde Eisenbahnen, ausgedehnte Fabrik- und Zechenanlagen. Die veränderte Bewirtschaftung der Forsten, Wiesen u. Äcker, die Einschränkung oder Ausrottung so mancher honigender Kräuter und Sträucher berechtigen in vielen Orten nur zu sehr die Klagen auch tüchtiger Imker über mangelhafte Erträge. Wenn unter solchen Umständen so manche wertvollen Bienenhäuser wieder verfallen und ihre Besitzer der edlen Imkerei den Rücken kehren, so ist das die natürliche Folge. Wer aber von der hochwichtigen Bedeutung der Bienenzucht für die Pflanzenkultur und von der bedeutsamen Zähigkeit der Bienen im großen Haushalte der Natur überzeugt ist, der muß den Verfall auch nur eines einzigen Eilandes(?) ernstlich bedauern. Pflicht und Aufgabe eines jeden gemeinnützig denkenden Menschen sollte es darum sein, helfend und fördernd für die Erhaltung der Bienenweide und damit für das Gedeihen der Bienenzucht einzutreten. Diese Aufgabe hat der Hauptverein stets im Auge behalten und seinen Mitgliedern mit Erfolg fort und fort empfohlen, nach Kräften für die Verbesserung der Bienenweide durch Anbau von honigenden Gewächsen zu sorgen. In Verfolg dieser Aufgabe sieht sich der Vorstand der Westfälischen Hauptvereins für Bienenzucht veranlaßt, die königliche Regierung gehorsamst und dringend zu bitten, die Unterbehörden und Gemeinden gütigst veranlassen zu wollen, in Zukunft öffentliche Wege und Plätze nur mit honigenden Bäumen zu bepflanzen. Wir empfehlen Obstbaum, Linde, Ahorn, Akazie und Roßkastanie, Bäume, die für unsere Zwecke außerordentlich wertvoll werden können, dabei aber den benachbarten Grundstücken wenig schaden, wogegen die Klagen über die Schädlichkeit der ………, Eschen und Pappeln immer lauter werden.

Obenan stehen Obstbaum und Linde, ersterer wegen seiner hohen wirtschaftlichen Wertes überhaupt und letztere wegen ihres vorzüglichen Honigs. Der Apfelbaum geht mit seinen Wurzeln stark in die Breite, ist ziemlich genügsam , nimmt mit einem flachgründigen Boden vorlieb und gedeiht bei richtiger Sortenwahl in allen Lagen und Böden. Der Birnbaum hat starke Pfahlwurzeln, treib diese tief in den Boden hinein, verlangt daher einen guten und lockeren Untergrund, liebt Kalk- oder Mergelboden, wird aber im steinigen Boden leicht gipfeldürr. Der Kirschbaum verlangt einen trockenen Boden, kann Nässe durchaus nicht vertragen und bekommt in zu fettem Boden leicht den Harzfluß. Der Zwetschgenbaum wünscht einen kalkhaltigen, fruchtbaren Stand und ist der einzige Obstbaum, der unter Umständen das Grundwasser verträgt. Die Linde ist bezüglich des Bodens ziemlich anspruchslos, wächst im Sand, Klei- und Mergelboden, in geschützter Tal- und rauher Höhenlage. Akazie und Ahorn verlangen einen besseren Boden, wogegen die Roßkastanie wieder genügsam ist. Der hohe Wert der Linde für die Bienenzucht erhellt aus folgender Berechnung. Gesetzt, ein Lindenstamm würde im Alter von 100 Jahren für nur 20 Mark verkauft, von den angenommenen 100 Jahren sollen die 20 Jahre, da der Baum noch jung ist, außer Ansatz bleiben. Von den übrigen 80 Jahren sollen ebenfalls 20 Jahre als missgünstig gestrichen werden, sodaß nur 60 Jahre in Rechnung kommen. In jedem dieser 60 Jahre möge der Baum nur an 4 Tagen beflogen werden, so ergeben sich 60 * 4 = 240 Flugtage. Wenn der Baum an jedem Flugtage dann noch rund 1 kg Honig a 2 Mark liefert, so ergibt sich die hübsche Summe von 240 * 2 Mark = 480 Mark. Dazu der angenommene Holzwert von nur 20 Mark, macht 500 Mark für einen 100jährigen Lindenstamm, im Durchschnitt 5 Mark pro Jahr.

Wir haben zu der königlichen Regierung das sichere Vertrauen, daß unsere Bitte in gütige Erwägung gezogen und bei Bepflanzung von öffentlichen Wegen und Plätzen auf die Bedürfnisse der Bienenzucht durch Auswahl von honigenden Bäumen wohlwollende Rücksicht genommen werde.

Der Vorstand des Westfälischen Hauptvereins für Bienenzucht.

i.A. gez. Geibel, 1. Vorsitzender

An den Herrn Regierungspräsidenten in Minden

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